Rezension: Mephisto

Bei einer solchen Aktualität des Themas ist es mir ein Bedürfnis, auf die Inszenierung von Henriette Hörnigk des “Mephisto” nach dem Roman von Klaus Mann am neuen theater Halle, mit Hagen Ritschel in der Hauptrolle, zu reagieren.

Wenn da ein Hendrik Hövgen gezeigt wird, der durch den Orkan der beginnenden dreißiger Jahre hindurch seiner Karriere treu bleibt, dafür belohnt wird, einen legendären Mephisto zur Beruhigung des verwirrten Gemüts hinlegt, dann bleibt ein irrationales, aktuelles Argument: Der Erfolg gibt ihm Recht.

Was ist herüberzuholen aus dieser Zeit, was ist daran so aktuell? Zum einen ist es die Tatsache, dass wir scheinbar immer nur phasenweise aus unseren Fehlern lernen, zum anderen ist es der Eindruck, dass wir im Fehler-begehen immer geschickter werden.

Da wird ein Theater plötzlich von einem diktatorischen Regime überschattet, und spaltet sich auf in Befürworter, Revolutionäre, Gleichgültige. Und in allen drei Riegen gibt es diejenigen, die sich einfach um sich selbst kümmern, im besten Falle noch ihre eigenen Schäfchen ins Trockene bringen. Da bewegt sich ein Schauspieler mit einer solchen Leichtigkeit durch diese Widersprüche, dass man sich die Frage stellt, was eigentlich dazu nötig ist, um so ignorant zu sein, während man tiefe Bewunderung empfindet. Und genau in dem Moment, in dem es möglich scheint, eine Position zu beziehen bekommt man es durch den pointierten Monolog von Harald Höbinger mit seinem Augen öffnenden “Ja? – Nein?” um die Ohren gehauen, zurück in die Unüberschaubarkeit, die uns so gekonnt vor die Augen gestrickt ist. Es gibt keine eindeutige Antwort auf diese drängenden gesellschaftlichen Probleme, sie werden uns begleiten, bis es uns als gesellschaftliches Konstrukt nicht mehr gibt.

Wie sich da aber eine Aktualität herauskristallisiert, das ist das eigentlich frappierende an dem Abend, das spiegelt sich dann auch in den Kritiken wider, die die progressive Ideen wie die Liebe zu einem Transvestiten mal loben, mal aus ihr eine Frechheit machen, gar Verbote gefordert werden. Besonders bei letzterem kommt einem dann doch wieder jene Intoleranz der Tonangeber in den Sinn, die bereits einige Jahrzehnte alt ist, und mit den Errungenschaften unserer heutigen Zeit nichts mehr zu tun haben, sie sogar rückgängig machen wollen.

Denn wer ist heute dieser Diktator, wenn das so aktuell ist? Inwiefern machen wir unsere Fehler heute geschickter?

Wir haben etwas gelernt aus unserer Vergangenheit, wir würden einem Führer nicht mehr folgen. Aber auch der Führer ist geschickter geworden. Er hat sich einfach seines Körpers entledigt.

Ich bitte Sie, mir bei folgendem Gedankenspiel zu folgen:

Wir haben es geschafft, das Fehlbare eines Diktators, nämlich seine Menschlichkeit, zu nehmen. Wir haben es vollbracht, einem Diktator zu folgen, der nicht Reden schwingen muss, bei denen er sich versprechen könnte. Wir folgen einer Kraft, die keinem anstrengenden TV-Duell standhalten muss oder sich rechtfertigen muss, die aber auch mit scheinbar nicht zu bändigender Kraft Zerstörung, Leid und Chaos anrichtet. Dieser Diktator hat es geschafft, die Opfer seines Handelns aus unserem Land zu bannen, wir sehen nicht mehr, wie sie sterben. Sie klingeln nicht mehr an unseren Haustüren, wo wir Ihnen Zuflucht gewähren könnten, und die wenigen, die das doch schaffen, die haben mit Ressentiments zu kämpfen, die den damaligen nicht unähnlich sind.
Unser Diktator ist etwas, worauf man sich ebenso berufen kann wie auf den Führer damals, der Befehle erteilt, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
Auch heute kommen die Handlanger zu uns und erzählen uns, dass das Theater geschlossen werden muss, dass für gewisse Dinge einfach kein Geld da ist. Der Befehl scheint eindeutig, denn fehlendes Geld, das versteht doch jeder, das ist so eine eindeutige Sache.
Das verheerende daran ist, dass wir diesen Diktator selbst geschaffen haben. Wir haben ihn gebaut, ihn uns ausgedacht, und ihn dann machen lassen, ihm seit seiner Entstehung vollkommen vertraut, und politisch nie etwas gegen ihn gemacht, ihm gar das Attribut “sozial” geben lassen, denn er macht einen großen Teil der Marktwirtschaft aus, die wiederum in etwa der Goebbels des 21. Jahrhunderts ist.
Dieser heutige Diktator, das sind die Börsenkurse, die jedes Jahr ihre 3% Wachstum haben wollen.
Und die mentalen Schmerzen, die man bei einer flammenden Rede dieser großen Persönlichkeiten empfindet, die entstehen dem klarsichtigen Gemüt heute beim unfreiwilligen Konsum von Werbung.

Bitte folgen Sie mir weiter in diesem Gedankenspiel. Gehen wir die Geschichte des Hendrik Hövgen unter diesem Gesichtspunkt zu einem Teil durch.

Um ihn herum geben Kollegen auf, sehen die Gefahr, und verlassen das Land oder das sinkende Schiff, wollen in so einem Land kein Theater mehr spielen. Er aber bleibt, er möchte sich nicht damit befassen, und pocht auf sein individuelles Recht auf eine Karriere als Schauspieler, die ihm zusteht, wie man sieht.
Schneller hat er “Heil Hitler” gesagt, als er sich bedanken kann, also schneller sein Konto bei der Deutschen Bank als er Lohnbuchhaltung sagen kann, und schon bekommt er seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt: Er darf den Mephisto spielen.
Die Regime-nahen mögen ihn, sie lernen aus seiner Art, zu spielen. Sie tauschen sich mit ihm aus und lernen aus seiner geschickten Art, sich so zu präsentieren, dass ihm Zuschauer jedes Wort von den Lippen absaugen. Sie imitieren ihn sogar.

Abgesehen davon, dass die ersten Opfer, die sich zeigen, keine alten Bekannten sind. Abgesehen davon, ist die Geschichte heute absolut denkbar, erschreckend möglich. Doch noch sind die leidtragenden Akteure nicht unter die Bühne gekrochen. Noch gibt es Hoffnungsschimmer wie die Wiedereinstellung von Herrn Latchinian. Noch ist TTIP nicht installiert. Noch können wir uns umdrehen und die Richtung wechseln, wir müssen nur, wie damals, einsehen, dass der Zug seine Richtung nicht ändern wird, wir müssen umsteigen.
Denn was wäre schlimmer, als wenn wir aussähen wie das Naziregime, nur mit anderen Parolen, die gebrüllt werden?
Was macht es denn für einen Unterschied, ob wir “Demokratie” brüllen, oder “für den Führer” – wenn es dazu dient, Menschen zu töten?

Nur weil wir uns Demokratie nennen, macht uns das noch lange nicht immun gegen diktatorische Strukturen.

 

Link zu Tickets und Stückbeschreibung des Neues Theaters Halle

Ich verneige mich tief vor dem Ensemble, Henriette Hörnigk, Hagen Ritschel und dem neuen theater. Herzlichen Glückwunsch.